Blond, braun, schwarz, rot
Sinn und Unsinn der Berichterstattung in den Medien
Beispiel: SPIEGEL ONLINE (08. April 2008)
© PD Dr. Ronald Henss
Ob blond, ob schwarz, ob braun ...
Das Thema "Haarfarben" ist allzeit von großem Interesse. Und den Medien bietet
dieses Thema eine unerschöpfliche Quelle, um ihre Klatsch- und Tratschspalten
zu füllen. Oftmals wird dabei eine Menge Unsinn
in die Welt gesetzt. - Ein Beispiel soll in diesem Beitrag beleuchtet werden.
Am 08. April 2008 berichtete SPIEGEL ONLINE unter der Überschrift
Das neue Blond heißt Brünett
unter anderem:
Carla Bruni hat es gut: Sie ist nicht nur Ex-Model und wunderschön, sondern seit
kurzem auch Frankreichs First Lady. Doch damit nicht genug: Sie ist brünett.
Das mag zunächst einmal seltsam klingen, denn haben nicht Frauen über Jahrzehnte
mit auf den Weg bekommen, nur wer blond ist, sei auch sexy und damit in der
Männerwelt von klarem Vorteil? Nicht unbedingt, wie Experten jetzt herausfanden.
Im Auftrag der Dating-Internetseite Love@Lycos haben sie die Haarfarbe der Frauen
an der Seite von 100 Milliardären analysiert, um herauszufinden, ob es eine
Haarfarbe gibt, die von reichen Männern bei der Wahl ihrer Partnerin besonders
bevorzugt wird.
Die Experten ermittelten, dass die Mehrzahl der verheirateten Milliardäre (62 Prozent)
eine Braunhaarige zur Frau hat, nur 22 Prozent der Männer heiraten eine Blondine.
Während schwarzhaarige Frauen immerhin noch den dritten Platz in der Beliebtheitsskala
belegen, werden rothaarige von den Reichen der Welt eher verschmäht.
So weit, so gut. Oder besser: so weit, so schlecht!
Dieses Beispiel ist typisch für die oberflächlich Berichterstattung in
den Medien. Viele Journalisten geben sich damit zufrieden, irgendwelche Prozentzahlen
in die Welt hinauszuposaunen, ohne zu fragen, was diese Zahlen eigentlich aussagen.
Wer auch nur eine Sekunde nachdenkt, wird fragen: "Und wie sehen die Prozentzahlen
denn in der Bevölkerung aus?"
Leider gibt es hierzu keine exakten Statistiken (zumindest sind mir keine bekannt).
Aber es gibt zumindest Annäherungen.
Im Rahmen einer online-Untersuchung - die noch nicht abgeschlossen ist - wurden
mehr als 25.000 Teilnehmer nach ihren Vorlieben und Abneigungen hinsichtlich
der Haarfarbe von Männern und Frauen befragt. Dabei wurden sie auch nach
ihrer eigenen natürlichen und nach ihrer aktuellen Haarfarbe gefragt.
Da die weitaus meisten Milliardäre aus Nordamerika stammen, wurde für die
folgende Analyse die Teilstichprobe von mehr als 9.300 Frauen aus den
USA und Kanada ausgewählt.
Die Frage nach der natürlichen Haarfarbe ergab:
Blond: 24.9%
Braun: 66.5%
Schwarz: 6.0%
Rot: 2.6%
Die Wahlen der Milliardäre spiegeln also die Verteilung der natürlichen
Haarfarbe nahezu perfekt wider. Dass Brünette bevorzugt werden, kann aus diesen
Daten nicht herausgelesen werden. Im Gegenteil: Sie schneiden in der
Milliardärsgattinen-Studie ein winizig kleines Stückchen schlechter ab; ebenso
die Blondinen. Dass Schwarz an dritter und Rot weit abgeschlagen an letzter
Stelle stehen, entspricht den natürlichen Gegebenheiten.
Das soeben Gesagte ist aber in einer wichtigen Hinsicht zu relativieren:
Bekanntlich behalten Menschen ihre natürlich Haarfarbe nicht das ganze Leben
über bei und gerade Frauen manipulieren ihre Haarfarbe besonders eifrig.
Deshalb sollte man die Prozentzahlen aus der Lycos-Studie auch mit der Verteilung
der aktuellen Haarfarben vergleichen.
Hierfür ergab unsere online-Umfrage:
Blond: 30.5%
Braun: 60.0%
Schwarz: 6.0%
Rot: 4.1%
Vor diesem Hintergrund schneiden die Brünetten in der Tat ein winzig kleines
bisschen besser ab. Und vor diesem Hintergrund lässt sich sagen, dass
das Blondfärben die Chancen einen Milliardär zu heiraten nicht
erhöht hat.
Die ganze Angelegenheit hat aber einen riesengroßen Haken: Die Lycos-Studie
beruht auf einer Stichprobe von lediglich 100 Milliardären. Bei einer derart
kleinen Stichprobe liegen sämtliche Abweichungen im Rahmen der statistischen
Schwankungen.
Selbst wenn in diesem konkreten Fall kein (statistisch gesicherter)
Zusammenhang zwischen Haarfarbe und Heiratschancen gefunden wurde, so ist
dennoch stark zu vermuten, dass ein solcher Zusammenhang besteht. Um dies
nachzuweisen, müsste man jedoch eine methodisch saubere Untersuchung durchführen.
Die Lycos-Studie hat allenfalls einen gewissen Unterhaltungswert für
Klatsch und Tratsch in den Medien - was SPIEGEL ONLINE hineininterpretiert, ist
schlicht und einfach Unsinn.
Es ist zu beachten, dass es sich bei unserer eigenen Studie um eine
online-Befragung handelt und dass
die Untersuchung keinen Anspruch auf volle Repräsentativität erhebt.
Aber im Großen und Ganzen dürften die Werte recht zutreffend sein; und sie
stimmen gut mit anderen Befunden überein.
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